Instrumentalduo Popescu/Wagner begeistert das Publikum

Kleines Konzertformat, große Kunstmusik

Ioana Popescu (Violine) und Alexander Maria Wagner (Klavier) in der Schwarzachtalhalle. Foto: Elfriede Weiß, NT

Ioana Popescu (Violine) und Alexander Maria Wagner (Klavier) in der Schwarzachtalhalle. Foto: Elfriede Weiß, NT

Eigentlich hätte zur gleichen Zeit am selben Ort spätromantische Symphonik mit starkem Orchesteraufgebot aufgetrumpft. Derlei XXL-Konzertpläne für den traditionellen Klassik-Festtag 2. Oktober wurden im „Corona-Jahr 2020“ durchkreuzt, die Pandemie übernahm auch beim Kunstverein Unverdorben das Programm-Diktat. So kam es zu einer echten Premiere: Kammermusik im Neunburger Kunstherbst! Zwei junge Instrumentalisten der Ausnahmeklasse waren schließlich Garanten dafür, das zweitkleinste aller Konzertformate zu einem großen Abend der Kunstmusik aufzuwerten: Ioana Popescu (Violine) und Alexander Maria Wagner (Klavier) machten mit virtuoser Brillanz schlagartig jede orchestrale Prunkentfaltung vergessen…

AUS KONTRÄREN MUSIK-WELTEN

Das Programm des Abends kombinierte Werke aus zwei vermeintlich konträren Musikwelten: postromantische Moderne im ersten und Operettentradition im zweiten Teil. Beider folkloristische Wurzeln waren es, welche ein gleichermaßen spannendes und entspannendes Konzerterlebnis evozierten. An den Beginn setzten Popescu/Wagner ein Stück, das als eine der beliebtesten Zugaben für Geigenvirtuosen auf der ganzen Welt gilt: Knapp fünf Minuten geballte Melodik. Als Jules Massenet seine neueste Oper Thaïs im Pariser Palais Garnier vorstellte, waren die Meinungen in Publikum und Kritik geteilt.

KVU-Vorsitzender Peter Wunder erläuterte eingangs kurz das Schutz- und Hygienekonzept.

KVU-Vorsitzender Peter Wunder erläuterte eingangs kurz das Schutz- und Hygienekonzept.

Zu schwülstig erschien ihnen die Wandlung der berühmten Hetäre Thaïs zur geläuterten Christin. Bei einer Stelle der Partitur allerdings waren sich alle Zuhörer einig: bei der „Méditation religieuse“, jenem Violinsolo mit Orchesterbegleitung, das der Komponist zwischen die beiden Bilder des zweiten Aktes platziert hatte. Es symbolisiert das Aufkeimen der christlichen Läuterung in der Seele der Thais, ausgedrückt im sentimentalen Stil des Fin de Siècle. Paul Taffanel, Soloflötist der Pariser Oper, erkannte als Erster die hypnotische Wirkung dieses Stückes. Schon kurz nach der Uraufführung brachte er eine Bearbeitung für Flöte und Klavier heraus, noch bevor seine Geigerkollegen reagierten und die „Méditation“ zu dem machte, was sie bis heute geblieben ist: Massenets erfolgreichster Konzerttitel. Für Ioana Popescus Debüt in Neunburg eine probate „Visitenkarte“, um das einheimische Publikum gleich nach den ersten Takten auf ihre Seite zu ziehen.
Während der Komponist Massenet in der Schwarzachtalhalle zumindest einmal schon musikalisch anwesend war – nämlich mit einer Arie aus „Manon“ in der Operngala 2012 – bot der Kammerkonzert-Abend 2020 die Gelegenheit für zwei Neunburger Erstaufführungen (Violinsonaten von Janacek und Enescu), im zweiten Teil sogar eine Welturaufführung („Ringelspiel“-Suite von Wagner/Metzenbauer). Der aus Brünn stammende Leos Janacek wird wie Massenet hierzulande fast ausschließlich auf sein Opernwerk reduziert. Jetzt zeichnet sich aber eine Renaissance seiner nicht sehr umfangreichen, aber dennoch eindrucksvollen Kammermusik ab. Seine 1914 fertiggestellte und 1922 revidierte Sonate für Violine und Klavier variiert die viersätzige Anlage der romantischen Sonate auf originelle Weise.

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ERSTE TAKTE DER JANACEK-SONATE:
JanacekSonat
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Die Violine stürzt sich mit einer bizarren Akkordgeste in einen passionierten Gesang, den das Klavier mit Tremoli nach Art eines Zymbal begleitet. Die Melodik ist russisch inspiriert. Nicht von ungefähr verweisen die Themen auf Janaceks „russische“ Oper Katja Kabanova, die einige Jahre später entstand. Die Durvariante des Hauptthemas, die vom Klavier angestimmt wird, bildet den Seitensatz, gefolgt von einer Arabeske als Schlussgruppe. Die Durchführung behält den improvisatorischen Gestus der Exposition bei: melodische Themenfetzen in der Violine kontrastieren mit Tremolofiguren im Klavier.
Den zweiten Satz nannte Janacek selbst „Ballade“, sein Biograph Jaroslav Vogel sprach von einem „Nocturne“. Tatsächlich erinnert der Satz mit seinen „Claire-de-Lune“-Effekten und seiner Liedmelodik an die Nocturnes der Romantiker. In äußerster Ruhe entfaltet sich zunächst ein E-Dur-Thema im Dialog der Instrumente, dann ein „Lied ohne Worte“ der Violine, das über flirrenden Akkordbrechungen des Klaviers in immer höhere Lagen aufsteigt. Der dritte Satz gewinnt durch sein volkstümliches Tanzthema einen ausgesprochen rustikalen Charakter, zumal in den Pizzicati der Reprise. Als Mittelteil fungiert ein nachdenkliches Arioso. Während die drei vorangehenden Sätzen noch die Konventionen der viersätzigen Form erfüllen, ist der Schluss alles andere als ein krönendes Sonatenfinale. Zu hören ist stattdessen eine zarte Klavier-Berceuse im langsamen Tempo, die immer wieder von nervösen Violineinwürfen attackiert wird. Allmählich zieht das Klavier die Violine in seinen träumerischen Gestus hinein, bis eine Choralpassage mit Tremolo langsam zum verdämmernden Schluss überleitet. In dieses finale Pianissimo mischte sich bei der Neunburger Aufführung leider ein störender „Begleitchor“ aus dem benachbarten Restaurant – dieser akustische Betriebsunfall sollte bei nachfolgenden Klassik-Events tunlichst vermieden werden…

Nach Absage der Klassik-Gala mit der Vogtland Philharmonie bot der KVU ein Kammerkonzert an.

Nach Absage der Klassik-Gala mit der Vogtland Philharmonie bot der KVU ein Kammerkonzert an.


George Enescu (1881-1955) ist weit mehr als nur der bedeutendste Komponist Rumäniens. Ausgebildet in Wien und Paris, gilt dieser von humanistischen Idealen getriebene Weltbürger und Patriot in Personalunion als eine der schillerndsten Musikerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Seine
Beschäftigung mit der Gattung Violine/Klavier erstreckt sich über mehr als 50 Jahre. Für den gewichtigen Sonatensatz in a-moll aus dem Jahr 1911 prägte der rumänische Komponist Tudor Ciortea den Begriff „Torso-Sonate“, wissend, dass Enescus Manuskript zu einem begonnenen 2. Satz nach einer Seite jäh abbricht. Das rund 15-minütige Opus erscheint wie eine große Tondichtung in episch-rhapsodischem Tonfall, getragen vom für Enescu so typischen „parlando rubato“. Wenngleich in Themenentwicklung und Klaviersatz durchaus Anklänge an Brahms erkennbar sind, atmet jede Seite der Partitur die Originalität und persönliche Handschrift Enescus. Man braucht an dieser Stelle kaum hinzufügen, dass sich die Interpretation dieses hochemotialen Werks bei der Landsfrau des Meisters (und ihres Partners am Boston-Flügel) „in besten Händen“ befand.

WIEDERGEBURT DER OPERETTE

Nach der corona-bedingten Durchlüftungspause ging in dem pandemisch bestuhlten Auditorium Bemerkenswertes über die Bühne – die Re-Inkarnation einer Kunstgattung, welche nach Ableben ihrer letzten Grandseigneure Robert Stolz (1975) und Nico Dostal (1981) im Museum der Musikgeschichte endgelagert schien. Auf historischem Terrain in Salzburg gingen die beiden Mittzwanziger und Mozarteum-Absolventen Alexander Maria Wagner und Lukas Metzenbauer vor zwei Jahren daran, der verblichenen Operette neues Leben einzuhauchen. Ein wie aus der Zeit fallendes Kreativprojekt, dessen Werdegang inzwischen sogar in den USA mit Interesse beobachtet wird. Und Neunburgs bekannt operetten-affines Publikum bekam am 2. Oktober das Privileg, als Erste in diese neue österreichisch-deutsche Welle hineinzuhören. New York wird dann 2021 an der Reihe sein. Wagner und Popescu hatten aus dem dreistündigen Bühnenwerk eine knapp halbstündige

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TANZ AUS „CAFÈ RINGELSPIEL“:
RingelspielSuite
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Spielmusik für Violine und Klavier arrangiert, die Suite aus der Operette in spe „Café Ringelspiel“. Die sieben Tanz-Sätze weisen mit ihren Bezeichnungen den Weg durchs mehrschichtig angelegte Libretto. Weitere erhellende Details steuerte Alexander Maria Wagner bei, der zwischen den Funktionen als Pianist und Conferencier souverän-unaufgeregt pendelte: „Der Lauf der Uhr (Mazurka), „Auftritt der schönen Frau / Liebelei 1“ (Marsch und Landler), „Hut ab et en passant“ (Galopp), „Nur ned hudeln“ (Tango) „Liebelei 2 / Morgenszene“ (Landler und Polka), „Unterweltsfranzose“ (Chanson) und „Die Tödin und der Maler“ (Walzer). Spätestens mit dem Finale im Dreivierteltakt war die Welt – Corona hin, Pandemie her – wieder in Ordnung. Aber nur kurz: Nach zwei durch rhythmisches Klatschen erzwungenen Zugaben (Bartok und Enescu) mussten zum Saal-Ausmarsch die Gesichtsmasken wieder rauf.

Komponist Alexander Maria Wagner erläuterte die Handlung der Operette zwischen den Tanzsätzen der Suite "Café Ringelspiel". Foto: Ralf Gohlke, MZ

Komponist Alexander Maria Wagner erläuterte die Handlung der Operette zwischen den Tanzsätzen der Suite „Café Ringelspiel“. Foto: Ralf Gohlke, MZ

Frenetischer Schlussapplaus für die Solisten Ioana Popescu und Alexander M. Wagner! Im Hintergrund: Co-Komponist Lukas Metzenbauer und Kunstherbst-Koordinator Karl Stumpfi (li.) Foto: Ralf Gohlke, MZ

Frenetischer Schlussapplaus für die Solisten Ioana Popescu und Alexander M. Wagner! Im Hintergrund: Co-Komponist Lukas Metzenbauer und Kunstherbst-Koordinator Karl Stumpfi (li.) Foto: Ralf Gohlke, MZ


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MEDIEN-ECHO
Bericht in der Zeitung „Der Neue Tag“, Ausgabe SAD, v. 8. Oktober 2020 als PDF- und JPG-Datei:
PDFNeuerTag8okt20

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