Die Rede von Dr. Maria Baumann zur Kunstherbst-Eröffnung ’17

„Kunst soll stören, Wissenschaft beruhigt“

hallo und ahoj – „Gemeinsame Wege in Glaube und Kunst“ – „společně cesty ve víře a umění“ –

Es ist ein Motto voller Hoffnung, das Sie sich für den Neunburger Kunstherbst gewählt haben. Kaum zu glauben, dass es schon fast 30 Jahr her ist, als dieses Miteinander von Künstlern aus Nachbarländern noch undenkbar war. Damals war ich noch Redakteurin – übrigens eine Kollegin von Karl Stumpfi – und bin mit phantasievollen Berufsbezeichnungen in die Tschechoslowakei eingereist. Als Journalistin bekam ich kein Visum. Ich habe Künstler in ihren Ateliers besucht und über ihre Arbeiten berichtet, die sie oft im Verborgenen schaffen mussten. Heute kann Kunst Grenzen überwinden, nicht nur Ländergrenzen.  Sie kann die Brücke schlagen zwischen Menschen, für die Glaube und Kirche noch ganz selbstverständlich zusammen gehören, und den Menschen, denen der kirchliche Raum zunehmend fremd wird oder schon ist.

Dr. Maria Baumann, Direktorin der Diözesanmuseen, bei der Eröffnungsrede in der ev. Versöhnungskirche.

Dr. Maria Baumann, Direktorin der Diözesanmuseen, bei der Eröffnungsrede in der ev. Versöhnungskirche.

Viele Menschen auch außerhalb der Kirchengemeinden sehnen sich nach Sinn und Orientierung, auch nach dem Göttlichen. Glaube und Kunst sind Chancen, Antworten zu geben. Denn in einem haben sich Christentum und Kunst in ihrer kulturschöpferischen Kraft über Jahrhunderte getroffen: der Mensch mit seinen Ängsten und schmerzhaften Erlebnissen, seinen Hoffnungen und Freuden. Judith Kiefmann, Schülerin der nach dem Erzbischof Gregor von Scherr benannten Realschule, hat dies wunderbar zum Ausdruck gebracht: In der Mitte ihres Kreuzes aus Salzteig sind Wörter wie Hass, Verzweiflung, Wut oder Angst geschrieben, „in deren Situation man sich entweder von Gott abwendet oder sich ihm stärker zuneigt“, wie sie sagt. Kunst kann in jeder Form eine religiöse Qualität annehmen, wo sie den großen Fragen unserer Existenz begegnet, den fundamentalen Themen, die dem Leben den Sinn geben. Dadurch wird sie zu einem Weg tiefer innerer Reflexion und Spiritualität. Diese große Nähe zwischen dem Weg des Glaubens und dem Weg des Künstlers wird durch viele Kunstwerke bezeugt.

Aber auch die Brücke zwischen Kirche und Kunst muss immer wieder neu geschlagen werden. Hierzu gehört von beiden Seiten Risikobereitschaft, der Mut, sich einzulassen. Die Werke von Kulturschaffenden sind subjektiv, sie sind Ausdruck der Suche nach der Darstellung eigener, unmittelbarer Erfahrung. Die Wucht ihrer Aussage, der Möglichkeiten der Assoziationen, die sie in ihren Chiffren und Symbolen eröffnen, ist oft radikal. Aus vielen spricht die Suche nach der Wirklichkeit und nach persönlicher Gotteserfahrung. Aber sie sind nicht selten anstößig – in doppeltem Sinn: Sie provozieren und geben Anstöße, Impulse, regen an, Vertrautes neu zu denken.

Deswegen: Es mag nicht allen alles gefallen, was im Neunburger Kunstherbst in Kirchen, Schaufenstern und auf Plätzen zu sehen ist. Aber das ist gut so!

Der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski hat gesagt: „Der Mensch kann ohne Wissenschaft leben, er kann ohne Brot leben, aber er kann nicht ohne Schönheit leben, weil es dann in der Welt nichts mehr zu tun gäbe. Hier ist das ganze Geheimnis, hier ist das Ganze der Geschichte.“ Der Maler Georges Braque nimmt diesen Gedanken auf: „Kunst soll stören, Wissenschaft beruhigt.“ Schönheit lässt uns nicht in Ruhe, erfüllt uns mit neuer Hoffnung, gibt uns den Mut, ganz und gar das Geschenk des Lebens zu leben.

Die Künstler der Ausstellung AHOJ 17 zeigen diese ethische Ästhetik in ganz unterschiedlichen Werken, hier in der Versöhnungskirche und quer durch die Stadt, in Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen, Plastiken und Installationen, vom 30 x 40 cm großen Lebenswegaquarell von Maria Prem bis zur 1,5 Tonnen schweren roten Kubuskugel mit einem Durchmesser von 1,85 m von Vaclav Fiala auf dem Zantkreisel.

In aller Kürze möchte ich Ihnen gerne die beteiligten Künstler vorstellen und beginne alphabetisch gleich bei Vaclav Fiala. Seit gut zwanzig Jahren gehört der Künstler , geboren 1955 in Klatovy, zu den führenden Bildhauern Tschechiens. Von1973 bis 1976 studierte er an der Hochschule für angewandte Kunst in Prag. Nach seinen künstlerischen Anfängen, bei dem Zeichnungen und die Malerei im Mittelpunkt standen, widmet er sich seit den neunziger Jahren voll und ganz der Bildhauerei und Architektur. Fiala arbeitet mit den wichtigsten klassischen Materialien Holz, Eisen und Stein. In reduzierten Formen und dennoch ausdrucksvoller Klarheit sehen Sie hier seine Eisenskulptur „Die verschwundene Kapelle im Böhmerwald“.  Er kann aber auch deutlich größer: Seine monumentalen Eisen- und Holzskulpturen werden an renommierten Prager Orten ebenso wie an der Universitätsklinik Graz ausgestellt. Václav Fiala arbeitet immer ortsbezogen und lässt sich von der vorgefundenen Situation inspirieren. Das wird besonders deutlich an seiner auf einer Stahlplatte montierten „Kapelle für eilige Passanten“ aus Granit am Halsgraben am unteren Rathaus-Torbogen. Die beiden konkaven Steinstelen symbolisieren einen Kapellenraum, die mit ihrer diagonalen Ausrichtung den Blick zum Licht lenken. Aus seinem „Zyklus der Reliquiare“  sind neben der roten Kubuskugel  „Something“ die Holzskulpturen „Er“ und „Sie“ im Eingangsbereich der Stadtpfarrkirche St. Josef zu sehen.

Farbe, Leinwand und Struktur: Der 1975 geborene Patrik Hábl sucht nach ungewöhnlichen, neuen Wegen, Malerei zu schaffen. Hier sehen sie das „Golden Face“, das Goldene Gesicht. Er unterrichtet an der Universität für angewandte Künste in Prag und gilt mit seinem malerischen Werk als eine der wichtigsten Positionen seiner Generation in Tschechien. Seine Werke in Acryl oder Öl von abstrakter, eigener Schönheit waren in Einzelausstellungen von Mailand bis Kyoto zu sehen. Historische Kirchenräume und seine zeitgenössischen Interventionen,  wie z. B. die 15m große Installation „Die zerrissene Leinwand“ in der Klosterkirche in Speinshart 2016, sind spannungsvolle Begegnungen, die herausfordern.  Auf der Suche nach Möglichkeiten der Malerei im 21. Jahrhundert öffnet sich Hábl dem Zufall, der Nicht-Berechenbarkeit. Er stellt Bilder ohne Rahmen her, stellt angefangene Bilder auch schon mal in den Regen, um zu sehen, wie sich die Bilder „entwickeln“. Ob zwei- oder dreidimensional: Mit seinen Werken führt er in bewegte Tiefenräume von hoher spiritueller Kraft.

Direkt auf die rohe Leinwand arbeitet Dr. Karel Rechlík, geb. 1950, seine leichten ausdrucksstarken Zeichnungen. Er studierte Kunstgeschichte und Philosophie an der Masaryk Universität in Brno, ist seit 1975 freischaffender Künstler und leitete ab 1993 das Diözesanmuseum in Brünn. Er hat zahlreiche Glasfenster sowie liturgische Ausstattungen für Kirchenräume in Tschechien, Deutschland und Österreich realisiert. In seinen Gemälden, die wie Tücher frei hängen, ist der Stoff oft durchschnitten oder angebrannt. Diese radikalen Eingriffe in das „Körperbild“ sind ein wichtiger Teil des gesamten künstlerischen Ausdrucks, die dadurch entstehenden leeren Flächen eröffnen Durchblicke in die geheime Welt des Geistes. Auch in dem hier hängenden quadratischen Tiffany-Glasbild bleibt die Mitte leer. Zwei Flügel, die auf eine gemeinsame offene Zukunft ausgerichtet sind, ragen in das Fenster. In St. Josef werden Sie von Karel Rechlík einen Zyklus von Tüchern mit Themen der liturgischen Zeiten sehen. Die vier großen Gemälde führen expressiv in den liturgischen Farben Violett, Grün, Gold-Weiß, Rot vom Advent bis Pfingsten. Im Berg 2 schwebt ein großes Glasobjekt vor den Mauern aus dem frühen 15. Jahrhundert: Ein Engel kommt durch das Stadttor nach Neunburg – von ihm ist nur ein Flügel sichtbar.

Vier Gemälde von Jitka Štenclová nehmen den Betrachter hier in der Versöhnungskirche mit hinein in eine meditative Ruhe: „Becher der Macht“, „Erforderliche Kraftlinie“, „Koordinierung“ und „Monolith“. Die stillen Bilder der Malerin und Textilkünstlerin, geb. 1952, mit denen sie auch in der Nationalgalerie in Prag, in den Museen Royaux d’Art et d’Histoire in Brüssel und dem Power House Sydney vertreten ist, sind inspiriert von Orten, Eindrücken und erlebten Gefühlen. Jitka Štenclová setzt sie um in abstrahierte Motive und energievolle Kompositionen, deren Kraft tiefer liegt, jenseits der sichtbaren Oberfläche des Bildes selbst.

Reduziert auf das Wesentliche: Den Werken des Künstlerehepaares Andrea Thema und Giselher Scheicher aus Ezelsdorf kann sich der Betrachter gerade deswegen nicht entziehen. Andrea Thema, geb. 1957, bis 2004 Fachlehrerin unter anderem für Textilarbeit, Textiles Gestalten und Werken, ist seit 1986 als freischaffende Künstlerin tätig. Von 2013 bis Mitte 2014 leitete sie die älteste evangelische Paramentenwerkstatt weltweit in Neuendettelsau im Spannungsfeld zwischen Innovation und Tradition. Handgewebte Paramente mit eingebundenen Plexiglasstreifen gestaltet Andrea Thema in der Kirche St. Jakob zur eindrücklichen Altarinstallation „Luther“. Ihre charakteristischen Schleifpapierarbeiten setzen sowohl in der Sparkasse als auch hier und in der Schwarzachtalhalle Akzente, die den Blick und die Gedanken weit über den Horizont hinaus führen. Lichtvoll finden Glaube und Kunst in ihrer Kreuzinstallation im Kunstquartier zusammen.

Die blauen Folienarbeiten von Giselher Scheicher faszinieren in ihrer opaken Farbintensität. Giselher Scheicher, geb. 1960,  studierte von 1985 bis 1988 Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Das außergewöhnliche Material, die bearbeitete und mit Ölfarbe bemalte Plastikfolie, ein Kunst-Stoff unserer Zeit, wird in Verbindung mit Licht und Illumination zu Bildern des Himmels, sowohl als Luftraum über der Erde als auch als spiritueller Sehnsuchtsort. Im Zeichen des Kreuzes fügen sich in der Schlosskirche Werke  von Andrea Thema und Giselher Scheicher harmonisch und doch spannungsvoll zu einer raumgreifenden Installation zusammen.

Wunderbar ergänzt werden die Exponate der Künstler durch die Arbeiten der Schülerinnen und Schüler des Kunstzweigs der Gregor von Scherr-Realschule. Kreativ und tiefgründig setzen sie sich mit dem Thema Glaube und Kunst auseinander. Sie teilen ihre kritischen Gedanken, nachdenklichen Zweifel und frohe Zuversicht, die sie in spannende Bilder und Skulpturen umgesetzt haben, von der Friedenstaube über die eindrückliche Verbannung Lucifers aus dem Himmel bis zur Kirche mit einem H&M-Shop als Altar der Shopping-Queens.

„Glaube bedeutet für mich bunt und fröhlich sein“, sagt Jasmin Neudecker über ihren Muschelrosenkranz. Ich wünsche Ihnen nun, dass Sie sich fröhlich auf die bunten gemeinsamen Wege in Glaube und Kunst durch Neunburg machen können, auf eine eindrucksvolle Entdeckungsreise, und dass Sie spüren: Schönheit lässt uns nicht in Ruhe, erfüllt uns mit neuer Hoffnung, gibt uns den Mut, ganz und gar das Geschenk des Lebens zu leben.

St. Jakob, die älteste Kirche Neunburgs, als Kunststation der Internationalen Ahoj-17-Ausstellung.

St. Jakob, die älteste Kirche Neunburgs, als Kunststation der Internationalen Ahoj-17-Ausstellung.

Eindrucksvoller Abschluss der Kunstherbst-Eröffnung 2017 mit der musikalisch-szenischen Performance "Play Luther" in der Schwarzachtalhalle. Fotos: K. Stumpfi, KVU

Eindrucksvoller Abschluss der Kunstherbst-Eröffnung 2017 mit der musikalisch-szenischen Performance „Play Luther“ in der Schwarzachtalhalle. Fotos: K. Stumpfi

MEDIENECHO

Bericht in der Tageszeitung „Der Neue Tag“ v. 19.9. 2017 als jpg-Datei:karl1LogoLutherlogonenkunstherbst430

 

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