Nachkriegszeit als kulturelles Kaleidoskop

Das „Literarische Sextett“ mit (v.li.) Burga Männer, Philipp Mardanow, Beate Seifert, Karl Stumpfi, Hans Fischer und Peter Wunder beim Abschlussabend der Themenwoche „Aufbruch 1945“.

Das „Literarische Sextett“ mit (v.li.) Burga Männer, Philipp Mardanow, Beate Seifert, Karl Stumpfi, Hans Fischer und Peter Wunder beim Abschlussabend der Themenwoche „Aufbruch 1945“. Foto: Alfred Grassmann, NT

Nach dem Einführungsreferat „1945 – Aufbruch ins neue Deutschland“ und der szenischen Lesung „Draußen vor der Tür“  ging die literarische Themenwoche im 3. Neunburger Kunstherbst mit dem multimedialen Leseabend „Nachkriegszeit – ein kulturelles Kaleidoskop“ im Sporrersaal zuende. Vorbereitet und präsentiert wurde er von Hans Fischer, Vorstandsmitglied des Kunstvereins Unverdorben. Unterstützt wurde er von vier weiteren Lektoren aus dem Kunstverein und Festspielverein sowie von Peter Wunder (Kunstverein), zuständig für die Bilddokumentation und technische Realisierung.

EIN WILDER KONTINENT…

„Der zeitliche Abstand von nunmehr 70 Jahren und der Blick auf die örtlichen Erfahrungen verkürzen oftmals die Sicht auf die unmittelbare Nachkriegszeit“, führte  Fischer

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Hans Fischer

in die Thematik ein. Deshalb eingangs gleich sein Hinweis auf den Historiker Keith Lowe und dessen neuestes Buch „Der wilde Kontinent“. In einer Gesamtschau dokumentiert der Autor die Ereignisse in den Ländern Europas. Gleichwohl sei es eine Absicht dieses Leseabends, die Betroffenheit des einzelnen Menschen von den Nachkriegsereignissen herauszustellen.

Wer sich an den in Cham gedrehten Film „Die Brücke“ von Bernhard Wicki erinnert, weiß, dass gerade in den letzten Tagen des Krieges viele sehr junge Leute in einem sinnlosen Aufgebot noch in das Kampfgeschehen gehetzt wurden. Heinrich Böll erzählt in seiner Kurzgeschichte „Wanderer, kommst du nach Spa“ über einen Jungen, der schwerverwundet in ein Notlazarett transportiert wird. Als er durch die Gänge getragen wird, dämmert es ihm, dass er sich in jener Schule befinde, aus der er vor drei Monaten entlassen worden sei. Beate Seifert (Kunstverein) trug den Schluss der Geschichte vor.

„TODESFUGE“ FÜR DREI STIMMEN

Die unmittelbare Nachkriegszeit war laut Fischer in ganz Europa gekennzeichnet von einem ungeheuren Mangel an Nahrungsmitteln. Hunger gehörte zu den täglichen Erfahrungen von Millionen von Menschen. Wie der Hunger das Denken und Handeln eines älteren Ehepaares beeinflusste, gibt Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte „Das Brot“ wieder, vorgetragen von Karl Stumpfi (Kunstverein).

Beate Seifert

Beate Seifert

Zu Hunger und anderen täglichen Problemen gesellte sich bei vielen Menschen das Entsetzen über die Gräueltaten des Naziregimes in den Konzentrationslagern. Die jungen Schriftsteller machten es sich zur Aufgabe, diese Geschehnisse in Worte zu fassen und sich und den Lesern so eine Bewältigung zu ermöglichen. Ein ergreifendes Beispiel dafür ist die „Todesfuge“ von Paul Celan. Worte wie „die schwarze Milch“ sind darin z.B. Metaphern für den täglich drohenden Tod. Wie bei einer musikalischen Fuge verwebt er drei Themen miteinander. Um sie auch hörbar zu machen, wurde die „Todesfuge“ vom Trio Burga Männer, Beate Seifert und Philipp Mardanow gesprochen.

Millionen von Menschen betraf das Schicksal der Kriegsgefangenschaft. Günter Eich formulierte die Gedanken eines betroffenen jungen Deutschen in einem Gedicht. Er macht „Inventur“. Viele waren gesund in den Krieg gezogen, um traumatisiert und versehrt in die Heimat zurückgekommen. Eine solche Situation hat Heinrich Böll in der Kurzgeschichte „Mein teures Bein“ festgehalten, die von Beate Seifert vorgelesen wurde. Einen lokalen Bezug, noch dazu politisch hoch aktuell, stellte der Abschnitt „Flüchtlinge“ her. Nach Kriegsende kamen auch Hunderte von DPs (displaced persons) in die Stadt, ehemalige Kriegsgefangene der Deutschen, Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge. Einige an die Leinwand projezierte Originaldokumente aus dieser Zeit konnten die Geschehnisse damals vergegenwärtigen.

ERSTER TEXT  IN DER „GRUPPE 47“

Im zweiten Teil des Leseabends durften Auszüge der Kurzgeschichte „Das Begräbnis“ von Wolf-Dietrich Schnurre nicht fehlen. Dies war der erste Text, der in der berühmten „Gruppe 47“ bei ihrer ersten Tagung gelesen und diskutiert wurde. Der Schriftsteller gestaltet darin einen Bewusstseinzustand nach dem Krieg, in dem es vielen Menschen erscheint, als ob Gott gestorben sein müsse. Daran knüpfte Hans Fischer einige Gedanken zur Literatur in der Nachkriegszeit. Zum Thema „Besatzungszeit“ kam mit dem Amberger Friedrich Brandl ein Autor aus der Region zu Wort. Burga Männer (Kunstverein) las Ausschnitte aus seinen Erzählungen „Dubble Bubble“ und „Geld“, autobiografisch gefärbte Kinder-Erlebnisse. Zum Schluss bemühte Fischer ein Zitat aus dem Neunburger Festspiel: Lernen wir aus Geschichte? Überleitung zum bereits 1953 im Bayerischen Rundfunk gesendeten Hörspiel „Herr Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch. Einen kurzen Ausschnitt aus der Schlussszene rezitierten Karl Stumpfi (Kunstverein) und Philipp Mardanow (Festspielverein). Zum Nachdenken anregen sollte das von allen Mitwirkenden vorgetragene „Finale“ mit einem Text von Borchert: „Dann sag‘ nein!“.

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Bericht über den 3. Abend der Themenwoche 1945 im NT:

Literaturaben (1)

 

 

 

 

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