Da hatten der Neunburger Kunstverein Unverdorben und die Regensburger Kleine Bühne Blaue Blume nicht zuviel versprochen: Die beiden Schattentheater-Vorstellungen im zauberhaften Garten der Alten Glasschleife Murnthal bescherten den Gästen märchenhafte Mai-Abende unter freiem Himmel und vor romantischer Naturkulisse. Das Eintauchen in die mythische Märchenwelten des Oberpfälzer Volkskundlers Franz Xaver Schönwerth (1810 – 1886) entführte für zwei Stunden aus Lärm, Hast und Unruhe der Gegenwart.
„Überall, wo es Menschen gibt, da gibt es auch Märchen – bei den Eskimos, bei den Indianern und auch in Deutschland“, führte Hermann Schmucker vom Ensemble „Kleine Bühne Blaue Blume“ in die Thematik ein. Was die meisten seiner Zuhörer nicht wussten: „Märchen sind die verbreiteteste deutsche Literatur weltweit, nicht etwa Goethe oder Schiller“. Die Märchen der Gebrüder Grimm kenne jeder, so Schmucker. Im Gegensatz dazu seien die Märchen Schönwerths immer noch recht unbekannt, auch in der Oberpfalz. Im 19. Jahrhundert neigte sich eine lange Erzähltradition dem Ende zu. Um die von Mund zu Mund weitergegebenen Märchen nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, begannen die Grimms das Gehörte niederzuschreiben.
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Auf einer Wiese saß ein Reiter auf seinem Pferd und schlief. Da kam eine Krähe herbei, pickte das Pferd ins Bein, so dass es ausschlug und den Reiter weckte. „Hey, was zwickst du mein Roß?“ – „Dass du amal aufwachst, du alte Schlafhaubn, du schlafst ja schon drei Jahr‘!“ – Der Reiter merkte an seinem ellenlangen Bart, dass dem so sei, und sprach zur Krähe: „Sage mir, wie kann ich dir danken?“ „Dadurch, daß du mir eine von deinen drei Schwestern gibst“, sagte die Krähe. „Hier hast du mein Bild.“
Beginn des Schönwerth-Märchens „Die verwunschene Krähe“
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Der gebürtige Amberger ließ sich von deren Arbeit begeistern und begann selbst mit dem Sammeln: Oberpfälzer Sagen, Märchen, Schwänke, Kinderspiele, Reime, Lieder sowie Sprichtwörter. Die 2009 gegründete Schönwerth-Gesellschaft pflegt diesen literarischen Nachlass. Ihr Gründungspräsident, der ehemalige Bezirksheimatpfleger Dr. Adolf Eichenseer und seine Gemahlin Erika trugen und tragen mit ihren Publikationen bzw. öffentlichen Lesungen und Rundfunkaufnahmen wesentlich zu einer Schönwerth-Renaissance bei und das weit über die Grenzen des Regierungsbezirks hinaus. Erika Eichenseer – die Schönwerth-„Päpstin“ kam zum ersten Abend ins Murnthal – konnte auch Hermann Schmucker in den Bann dieser Märchenwelten ziehen. So entstand im Vorjahr der Prototyp eines Schönwerth-Theaters, welches die Märchen mit Licht und Schatten erzählt und von der Kleinen Bühne Blaue Blume auf dem Märchenpfad Sinzing zum ersten Mal realisiert wurde. Ein folgender Hinweis auf den Garten der Alten Glasschleife Untermurnthal bei Neunburg empfanden die Regensburger schon nach dem ersten Lokalaugenschein als Volltreffer. „Besser geht’s gar nicht“, schwärmte Prinzipal Schmucker, „und das auch noch bei diesem schönen Frühjahrswetter!“
Den Ablauf der Märchen-Exkursion schilderte er so: „Zu abendlicher Stunde lassen wir uns von einem Musiker in der wachsenden Dämmerung von geheimnisvollen Klängen und Lichtern zu vier Stationen führen“. Bei Auswahl der Vortragstexte waren die örtlichen Gegebenheiten oberste Kriterien gewesen. Denn „in diesem besonderen Ambiente werden die Schönwerth-Märchen ihre Originalität und ihren Zauber auf eine ganz besondere Weise entfalten.“ Nicht zuletzt würdigte der Sprecher der Kleinen Bühne Blaue Blume das Engagement des Neunburger Kunst- und Kulturvereins im Vorfeld der beiden Vorstellungen am 13. und 14. Mai 2022.
Der 1. Vorsitzende des KVU, Peter Wunder, freute sich sehr über den Fakt, dass mit den beiden Märchenabenden in der schon bewährten Kunst-und Kreativ-Location „Alte Glasschleife Untermurnthal“ ein neues Veranstaltungsformat präsentiert werde. Er dankte den Besitzern Kopp-Martz für die Kooperationsbereitschaft und stellte anschließend die Protagonisten persönlich vor: Neben Hermann Schmucker wirkten Heilwig von Hennigs, Angelika Deffner und Willibald Urban mit. Den musikalischen Part gestaltete der Neunburger Markus Held (Solo-Klarinette). Die von ihm angestimmte „Sehnsuchtsmelodie“ sensibilisierte das Hörorgan der Wanderer für die erwarteten Rezitationen der Schönwerth-Texte. Im reinrassigen Oberpfälzer Dialekt brachte Schmucker in der ersten Station das Märchen „Die verwunschene Krähe“ zu Gehör, Heilwig von Hennigs untermalte die Erzählung mit klanglichen Effekten. Die zweite Station führte an das Schwarzachufer – Schauplatz des zweiten Märchens „Der Zwergenkönig“. Das gebündelte Licht vieler Taschenlampen zauberten die Umrisse eines „Kristallpalastes“ in das Flusswasser. Eine sehr effektvolle Kulisse wartete in der dritten Station auf das Märchen „Die Prinzessin und die Kuh“: Der Wellenschlag des Triebwerkanals wurde an die Außenwand der Glaspolier projiziert, schließlich stieg dann das Märchenschloss aus den Fluten. „Con fuoco“ war das Finale der Märchen-Exkursion angelegt. Am Lagerfeuer erz#hlte von Hennigs vom „Wieserl“. Nicht allein wegen der aufziehenden nächtlichen Kühle rückten die Zuhörerinnen und Zuhörer gerne nahe an die knisternden, glühenden Holzscheite. Interaktiv klangen die Märchenabende aus – mit dem von „Chordirektor“ Willibald Urban animierten und von vielen Kehlen intonierten Lied „Maienwind am Abend“.
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MEDIEN-ECHO
Bericht in der Mittelbayerischen Zeitung, Ausgabe SAD, v. 28. Mai 2022 als PDF-und JPG-Datei:MZSchoenwerth